Donnerstag, 25. Dezember 2014

Dragon's Creed und die Open-World-Krankheit - Dragon Age: Inquisition (spoilerfreie Analyse, Teil 2)

„Leave the fucking Hinterlands!“ Ein Ratschlag, den wir in den letzten Wochen auf diversen Dragon-Age-Fanseiten und Blogs lesen konnten und der mit etwas anderer Wortwahl wohl von den Entwicklern direkt stammen soll. Die Hinterlande sind das erste offene Spielgebiet von Dragon Age: Inquisition, das wir nach der linearen Einführungsquest besuchen. Eigentlich nur, um kurz ein paar Gespräche zu führen und anschließend wieder zu verschwinden. Aber Inquisition ist ein Open-World-Spiel – naja, also streng genommen eigentlich nicht. Es besteht wie schon die Vorgänger aus mehreren unterschiedlichen Gebieten, zwischen denen wir per Schnellreise hin-und-herwechseln können. Doch waren diese Gebiete in den beiden Vorgängern meistens sehr lineare Pfade mit vielen unsichtbaren Mauern, so sind sie in Inquisition schlicht und ergreifend riesig. Wer uninformiert zum ersten Mal die Hinterlande betritt, der mag wohl durchaus denken, er habe es hier mit dem Hauptgebiet des Spiels zu tun. Pustekuchen, die Hinterlande sind gerade einmal das erste von insgesamt 10 Gebieten in dieser Größenordnung! Dragon Age: Inquisition ist schlichtweg gigantisch. Man könnte sagen, es bestehe aus ganz vielen offenen Spielwelten… und hat dementsprechend auch all die Probleme im Gepäck, die so ein Open-World-Spiel mit sich bringt.

Eine Welt, zu groß für die Autoren


Die schiere Anzahl der Nebenaktivitäten überfordert
Spieleinsteiger und lenkt zu sehr von der Story ab.
Wenn ein Ratschlag wie oben genannter notwendig ist, damit ich ein Spiel richtig genießen kann, ist dann nicht irgendwo in der Entwicklung schon etwas schief gegangen? In der Tat habe ich die ersten 10 Stunden Spielzeit nur in den Hinterlanden verbracht und jede noch so unwichtige Nebenquest nach dem Schema „Sammeln und Töten von X“ erfüllt. Ich nenne das den „Assassin’s Creed-Effekt“. Die Anzahl der Nebenaktivitäten, die an jeder Ecke der Spielwelt auf uns warten, ist schier „mind-numbing“, wie der amerikanische Talkshow-Host Conan O’Brien in der Assassin’s Creed Unity-Ausgabe seines Comedy-Formates „Clueless Gamer“ so schön sagt. Das Problem: Bei den Ubisoft-Spielen sind wir daran gewöhnt, dass die Nebenaufgaben Quantität über Qualität stellen und dass nur echte Completionists wirklich alles erfüllen. Wir wissen, dass wir ohne Nachteile jederzeit mit der Hauptgeschichte fortfahren und im Zweifel auch nach Spielende fehlende Nebenaktivitäten nachholen können. Dragon Age: Inquisition aber ist ein Rollenspiel und dort lautet der Tenor für jene, die möglichst alles erleben wollen: Ein Gebiet abschließen, erst dann geht es ins nächste weiter.

Mir gelang es erst, aus meiner Konditionierung auszubrechen, als meine kleine Heldentruppe urplötzlich von einem deutlich höherstufigen Drachen-Bossgegner umgepustet wurde, der einen Teil des Gebietes bewachte. Ich nahm diesen feurigen Tod zum Anlass, unter lauthalsigen Racheschwüren zum ersten Mal die Hinterlande zu verlassen und mit der Hauptstory weiterzumachen. In der Tat eine gute Entscheidung, denn was bisher eine arg durchschnittliche Spielerfahrung war, gewann im Nullkommanichts deutlich an Fahrt. Die wirklich klasse inszenierten Story-Missionen sorgen wieder für ordentlich Dragon Age-Feeling, so wie ich es mir wünsche, und die Geschichte mutet im Voranschreiten wieder deutlich epischer an als die etwas ziellose Erzählung eines Dragon Age II. Man könnte also denken, wer auf ein etwas linearer gestaltetes, spannendes Abenteuer mit einer dichten Inszenierung hofft, der könne sich ja größtenteils auf die Hauptgeschichte beschränken. Doch Fehlanzeige: Die Hauptmissionen von Inquisition haben allesamt empfohlene Levelbereiche und entpuppen sich als extrem schwer, wenn wir uns deutlich darunter befinden. Wer also nicht auf den leichtesten Schwierigkeitsgrad herunterstellen möchte, um seinen fehlenden Level-Fortschritt auszugleichen, der ist dazu gezwungen, sich mit dem „Füllmaterial“ (ich muss es leider wirklich so nennen) abzugeben.

Der Begriff Füllmaterial klingt hart, trifft aber leider zu. Zugegeben, das Füllmaterial von Inquisition macht vermutlich immer noch mehr Spaß als die Hauptgeschichte so manch anderen Spieles. Aber es ist eine solche Enttäuschung verglichen mit den Qualitätsstandards, die diese Serie einmal so groß gemacht haben. In Dragon Age: Origins gibt es keine einzige Nebenaufgabe zu viel. Alles, was wir tun, steht in direkter Relation zu unserem großen Ziel und wirkt sich nachhaltig auf unseren Gesamterfolg aus. Das Spiel verkörpert für mich die perfekte Mischung aus der bombastisch-filmischen Inszenierung eines Uncharted-Titels und dennoch dem Gefühl, seine eigene Geschichte formen und erzählen zu können wie in Sandbox-Titeln à la Skyrim. Jedes Gebiet, was wir betreten, hat seine eigenen dunklen Geheimnisse, denen wir in spannend inszenierten Nebenquests auf den Grund gehen können und selbst wenn einmal die ein oder andere stupide Sammelaufgabe dazwischen rutscht, so werden wir nach Abschluss wenigstens mit einer ausladenden Cutscene belohnt und wissen, unsere Taten haben etwas bewirkt.

In Browserspiel-Manier schicken wir unsere Berater
auf Missionen, die dann in Echtzeit ausgeführt werden.
Inquisition hat nichts davon. Die Nebenaktivitäten bestehen zum Großteil aus dem Sammeln von Gegenständen, Lösen von Rätseln und Schließen von dämonischen Rissen in der Welt. All dies wird nie in den Zusammenhang mit unserem Fortschritt in der Hauptgeschichte gebracht und hat fast gar keine spielerischen Auswirkungen, außer dem Verdienst der Währungen „Macht“ und „Einfluss“ für unsere Inquisition, mit denen wir neue Gebiete freischalten und uns bestimmte Vorteile wie neue Dialogoptionen verschaffen können. Da es jedoch für so gut wie jede Aktivität im Spiel Macht und Einfluss gibt, ist das nichts Besonderes. Wer die Hinterlande dann endlich verlassen hat, wird feststellen, dass es eben genannte Nebenaufgaben in jedem Gebiet des Spiels gibt. Wir machen die ganze Zeit das gleiche, es verändert sich lediglich die Kulisse, in der wir das tun. Jedes der Gebiete hat in der Regel dann noch eine Quest, in der wir einen für das jeweilige Gebiet spezifischen Konflikt lösen müssen. Meistens ist dieser Konflikt nicht sonderlich interessant und auch hier wird komplett auf die Verwendung von Videosequenzen verzichtet. Wir verlassen in Gesprächen nie die 3rd-Person-Perspektive unseres Charakters, werden also nicht etwa wie in Origins zumindest mit einer gut inszenierten Cutscene für unsere Mühen belohnt. Die einzigen Nebenaufgaben, die von der Inszenierung her annähernd an Origins-Qualität heranreichen, sind die Begleiter-Quests. Serientypisch hat jeder unserer Mitstreiter wieder eine persönliche Aufgabe, mit deren Erfüllung wir uns sein Vertrauen verdienen können. Diese Aufgaben sind in der Regel bedeutungsvoller und am Ende winkt eine Videosequenz, in der wir unsere Gefolgsleute noch einmal besser kennenlernen können… was bei den wirklich toll geschriebenen Charakteren eine zufriedenstellende Belohnung ist.

Was ich am allerwenigsten verstehe ist, dass die spannenden Nebenaufgaben doch eigentlich da sind. Nur anstatt, dass man mich diese spielen und selber erleben lässt, hat man sie zu Texten verarbeitet und in eine Art im Spiel verstecktes Browserspiel gepackt, in dem ich meine Berater auf Missionen schicken kann und entscheide, auf welche Art und Weise ich die vielen kleinen intrigenreichen Konflikte lösen will. Dabei trete ich sogar mit liebgewonnenen Charakteren aus den Vorgängern in Kontakt, die es nicht zu einem echten Gastauftritt gebracht haben. Das Ganze klingt spannend, kann aber natürlich in rein geschriebener Form niemanden vom Hocker hauen. In Anbetracht dessen, dass spannende Nebengeschichten in Inquisition absolute Mangelware sind, verstehe ich also nicht, warum ich nicht einige dieser Berateraufgaben persönlich lösen darf. Das wäre zumindest deutlich spannender gewesen, als pro Gebiet acht Rifts zu schließen und zehn Shards zu sammeln. Es macht den Eindruck, als hätte die Leveldesign-Abteilung hier eine Spielwelt geschaffen, die so monströs und gigantisch ist, dass die Story-Designer und Autoren beim Füllen dieser Welt mit interessanten Geschichten einfach nicht mehr hinterhergekommen sind. Doch leider sind es eben diese Geschichten, wegen denen ich ein Spiel der Marke Dragon Age spielen und lieben möchte.

Raus aus der Grauzone und die Kosten des Krieges


Der umfangreiche Charakter-Editor
erlaubt schier groteske Kreationen.
Noch immer höre ich täglich die wunderschön gesungenen und herrlich melancholischen Tavernenlieder, die die Barden in Dragon Age: Inquisition zum Besten geben. Sie handeln von Verlust und der Sehnsucht nach besseren Zeiten ohne Angst und Krieg. Leider sind das Gefühle, die das eigentliche Spiel überhaupt nicht zu vermitteln schafft. Im Gegenteil, es glorifiziert den Krieg als dieses epische und ehrenhafte Unterfangen und die Geburt der Inquisition, einen noch ehrenhafteren Zusammenschluss der Rechtschaffenheit. Das ist ja auch soweit okay, wir wollen ja schließlich alle die Welt retten. Aber das Spiel verpasst dabei, mir das Elend des Krieges zu zeigen, die Grausamkeit meiner Widersacher. Es stellt den Krieg nicht als notwendiges Übel dar, sondern als willkommene Gelegenheit für meinen eigenen Machtaufstieg. Es lässt mich nie an meiner letztendlichen Überlegenheit über den Feind zweifeln, denn es ist viel zu sehr damit beschäftigt, mir die ganze Zeit zu erzählen, wie toll meine Inquisition ist.

Das Konzept von Entscheidungsgewalt in Videospielen hat in den letzten Jahren viele verschiedene Ansätze gezeigt. Entscheidungen in Fallout 3 oder Fable basieren in der Regel auf einem simplen gut-böse-Konflikt und demonstrieren das sogar durch ein Karma-System im Spiel. Die Mass Effect-Reihe lässt den Spieler entweder sehr idealistisch, oder kalt und pragmatisch auftreten, in The Walking Dead drehen sich die Entscheidungen in der Regel um Vertrauen. Riskiere ich, hintergangen zu werden, oder kämpfe ich mich lieber alleine durch? The Witcher ist das erste Spiel, das ich gespielt habe, dessen Entscheidungen sich vollkommen in einer moralischen Grauzone befinden. Ich kann mich zwischen zwei Fraktionen entscheiden, die beide sehr andere, aber durchaus vertretbare Ansichten haben und das Spiel verzichtet darauf, diese Entscheidung moralisch zu bewerten.

In Dragon Age: Inquisition sind die meisten der zu treffenden Entscheidungen eher letzterer Art. Ich helfe entweder dieser oder jener Fraktion, um sie als Verbündete zu gewinnen oder unterstütze meine Gefährten bei diesem oder jenem persönlichen Bestreben. Es gibt dabei keinen moralischen Konflikt, sondern einen rein politischen und nur selten im Spiel wirklich merkliche Konsequenzen. Ich vermisse Entscheidungen, die mich vor die Wahl stellen, ein persönliches Opfer zugunsten des großen Vorhabens zu bringen oder nicht. Entscheidungen, die wehtun und die mir zeigen, was es bedeutet, Anführer einer autonomen Militärorganisation zu sein, deren Erfolg um jeden Preis garantiert werden muss, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Es gibt genau eine Entscheidung im Spiel, die diesen Effekt bei mir hatte. Welche, verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht.

Es gelingt dem Spiel einfach nicht, dass mich der Krieg und die Entscheidungen, zu denen er mich zwingt, etwas kosten, ein emotionales Opfer fordern. Aus diesem Grund kann mich als Spieler auch nicht in das Leid der vom Krieg befallenen Welt hineinversetzen, das Opfer der betroffenen Menschen verstehen. Wenn ich erst einmal dahintergekommen bin, wie das Spiel funktioniert, tritt genau der gegenteilige Effekt ein, als es in der beliebten TV-Serie „Game of Thrones“ der Fall ist. Dort sterben oft sehr unerwartet Hauptcharaktere, was einerseits für einen großen Schock bei den Zuschauern sorgt und andererseits dazu führt, dass wir uns nie in Sicherheit fühlen, stets das Gefühl haben, jeder Moment unserer Lieblingsfigur könnte ihr letzter sein. In Inquisition hingegen habe ich stets das Gefühl, meine liebgewonnenen Gefährten seien in Sicherheit und sorge mich nicht um vermeintlich böse Überraschungen, was die Spannung der eigentlich toll erzählten Handlung natürlich deutlich mindert.

„Ich bin sicher, denn der Spieler braucht mich noch!“


Rockstar Games beweist mit Red Dead Redemption,
dass sich eine offene Spielwelt und eine bis zum Ende
spannende Geschichte nicht gegenseitig ausschließen.
Dieses Gefühl der Sicherheit ist bei vielen Open-World-Spielen schon durch ihr Gameplay-Modell bedingt. Die einzelnen Abschnitte der Story lassen sich bei Titeln der Reihen Assassin’s Creed oder Grand Theft Auto wie alle anderen Aktivitäten von bestimmten Orten der offenen Spielwelt aus starten. Ist die Geschichte abgeschlossen, lässt sich die Welt weiterhin bereisen und alle anderen Nebenaktivitäten sind weiterhin verfügbar. Ist der Tod des Protagonisten damit ausgeschlossen? Wie kann ich eine Geschichte mit einem klimaktischen und denkwürdigen Abschluss schaffen, es aber gleichzeitig glaubhaft erscheinen lassen, dass mein Protagonist anschließend genauso weitermacht wie vorher? Eine Frage, die sich Spiele-Entwickler immer wieder stellen müssen. Manche Titel verzichten zugunsten eines „fatalen Endes“ einfach auf jegliche narrative Logik und Relevanz nach Abschluss der Hauptstory. Speziell die Assassin’s Creed-Reihe hat aufgrund ihrer Rahmenhandlung keine Beschränkung auf zeitliche Linearität und kann das daher leicht kompensieren. Die meiner Meinung nach bisher interessanteste Lösung lieferte das von Rockstar Games entwickelte Red Dead Redemption, dem es gelang, nahezu komplett aus dem Schema der üblichen Open-World-Narrativen auszubrechen.

Dass die Geschichte von Dragon Age: Inquisition mit einer Katastrophe beginnt, ist denke ich nicht zu viel verraten. Wir sehen die große Explosion ja schon beim Spielstart im Hauptmenü. Dass sie mit einer ganz anderen Art von Katastrophe endet, nämlich mit einer dramaturgischen, hat mich dann doch sehr schockiert. Gerade nachdem das Ende der belliebten Mass Effect-Reihe für einen der heftigsten Internet-Aufschreie aller Zeiten sorgte und BioWare zu vielfachen Entschuldigungen und der Veröffentlichung eines Extended Cuts zwang, sollte man eigentlich meinen, dass sie ihre Lektion gelernt haben müssten. Ich traute also meinen Augen kaum, als mir Inquisition am Ende etwas vorsetzte, welches die exakt gleichen Unzulänglichkeiten wieder aufwies. Während bei Mass Effect 3 jedoch nur das unmittelbare Ende misslungen, die letzte Mission insgesamt aber sehr spannend und gut inszeniert ist, haben wir es bei Inquisition jedoch seit Beginn des finalen Kapitels mit einer Komplett-Katastrophe zu tun. Ein völlig übereilter und antiklimaktisch eingeführter Bosskampf ohne Spannung oder Überraschungen und eine mickrige Endvideosequenz, die fast alle interessanten post-finalen Ereignisse einer mit Off-Stimme unterlegten Slideshow überlässt, anstatt diese im großen Stil zu zeigen. Es ist mir unmöglich, das Ganze unter Vermeidung von Spoilern genauer zu erläutern, daher wird der nächste Teil Details zum Ende des Spiels verraten. Wer diese nicht erfahren möchte, kann direkt zum Fazit herunter scrollen.

Am Anfang und am Ende war die Katastrophe (in diesem Teil SPOILER!)


Es kann jeden treffen: Der Nervenkitzel am Ende von 
BioWares Mass Effect 2 ist für mich bis heute unerreicht.
Das beste Finale, welches ich je in einem Videospiel erlebt habe, ist das des Spiels Mass Effect 2, ironischerweise auch von BioWare. Diesen unglaublichen Nervenkitzel, dass ein einziges im Voraus versäumtes Raumschiff-Upgrade oder eine falsche Entscheidung während der Mission den sofortigen Tod eines Mitstreiters bedeuten kann, zusammen mit dem Gemeinschaftsgefühl, erstmalig die gesamte Crew auf einmal in die Schlacht führen zu können, werde ich niemals vergessen und immer in Ehren halten. 

Dragon Age: Inquisition hat nichts davon. Es kommt nie das Gefühl einer wirklichen Bedrohung auf, es gibt keine taktischen Entscheidungen, die unsere Mitstreiter potenziell ins Verderben stürzen könnten, keine epische Ansprache des Inquisitors, bevor er die das ganze Spiel über aufgebaute Streitmacht in ihre letzte Schlacht schickt. Himmel, es gibt nicht mal eine echte letzte Schlacht, denn unsere Soldaten sind noch auf dem Rückweg von der vorhergehenden Mission (auch wenn ich in der Zwischenzeit 50 Stunden Nebenquests erledigt habe). Und ja, das fühlt sich auch im Spiel genauso bescheuert und unbefriedigend an, wie es sich liest.

Ausschlaggebend für den Beginn des letzten Kampfes ist der urplötzliche Angriff von Oberbösewicht Corypheus. Wir landen nach einer kurzen Videosequenz und einem bedeutungsleeren Dialog direkt und völlig übereilt im Bosskampf, der sich im Vergleich zum restlichen Spiel deutlich zu leicht spielt und von mir problemlos im ersten Versuch bewältigt wurde (während ich für so manchen Drachenkampf Stunden gebraucht habe).

Einen interessanten Plot Twist gibt es am Ende doch.
Allerdings auch nur eine Art "Cliffhanger".
Zur Belohnung gibt es am Ende eine winzige Videosequenz, in der wir als Sieger bejubelt werden, ein kurzes Gespräch mit jedem Mitstreiter über dessen zukünftige Pläne und eine kurze Szene mit unserer Romanze, sofern es denn eine gab. Das ist alles. Wichtige Charaktere wie Morrigan treten überhaupt nicht mehr auf, Verbündete, die aus Entscheidungen während des Spiels hervorgegangen sind, kommen nicht zu Wort und kein einziger der kleineren Konflikte mit vermeintlich langfristig großen Auswirkungen (z. B. Cullens Lyrium-Sucht) hat irgendwelche sichtbaren Konsequenzen. Während Mass Effect 3 wenigstens noch mehrere (wenn auch sehr ähnliche) Enden hatte, bekommen wir hier völlig unabhängig von unseren Entscheidungen immer das gleiche Endergebnis serviert.

Der Fortbestand der durch die Bedrohung der Welt unterbrochenen politischen Konflikte wird in einer Slideshow mit Offstimme sehr flüchtig und oberflächlich erläutert und die großen Fragen des Magier-Konfliktes und der Kirchenrevolution dürfen wir nicht wie zuerst gedacht selbst beantworten, sondern werden dadurch entschieden, welche Kandidatin wir bei der Wahl des neuen Kirchenoberhauptes unterstützt haben. Und warum bitte gibt es keine Videosequenz, die diese Entscheidung aufgreift und ihre Konsequenzen zeigt? Warum kann ich meiner geliebten Cassandra nicht dabei zusehen, wie sie in einer riesigen Siegesfeier bejubelt von ganz Thedas ihren neuen Posten einnimmt? Das wäre ein epischer und würdiger Abschluss gewesen. Warum zeigt ihr mir nicht die Freude der Welt, die ich gerettet habe und lasst mich gebührend Abschied nehmen? WARUM?!

Letztendlich halte ich die Unzulänglichkeit dieses Finales für zu offensichtlich und BioWares Fähigkeiten für zu groß, als dass das beabsichtigt gewesen sein könnte. Gerade wenn man es in Relation zu der bis dahin wirklich fantastisch inszenierten Geschichte mit ihren ausufernden Videosequenzen auf höchstem Niveau sieht, passt dieses urplötzliche Sparflammen-Finale nun wirklich überhaupt nicht ins Bild. Es scheint mir, als hätten wir es hier wieder einmal mit einem Fall zu tun, in dem der finanzielle Druck zu einem verfrühten Release geführt hat, bevor die Entwickler ein Ende nach ihren Qualitätsstandards erschaffen konnten. Das Problem mit den Standards ist nur: Sie lassen sich nur solange so nennen, wie man sie auch ab und zu nochmal wieder erreicht.

Fazit: „Ich liebe dich trotzdem!"


"I will bring myself sexual pleasure later, while thinking
about this with great respect." Ein gutes Schlusswort.
Ich habe Dragon Age: Inquisition dramaturgisch unter die Lupe genommen und mich dabei auf die negativen Seiten beschränkt, denn es war nicht mein Ziel, ein objektives Qualitätsurteil über das gesamte Spiel zu fällen. Es gibt da draußen genug Reviews, die das sehr kompetent tun, zumal ich auf entscheidende Bereiche wie das eigentliche Gameplay ja so gut wie gar nicht eingegangen bin. Über Dragon Age zu schreiben, ist mir eine Herzensangelegenheit, denn ich liebe diese Serie und möchte, dass sie sich jederzeit in bestmöglicher Qualität präsentiert. Aus diesem für mich als leidenschaftlichen Spieler nicht ganz uneigennützigen Grund war es mir sehr wichtig, Probleme, die das Spiel meiner Ansicht nach hat, zu analysieren und mit meinem bescheidenen dramaturgischen Wissen eventuelle Lösungsansätze herauszuarbeiten. Es ist mein kleiner Beitrag zu den vielen theoretischen Diskussionen, wie wir unser vergleichsweise junges Lieblingsmedium noch besser machen können.

Wer nach der ausführlichen Kritik nun verunsichert ist, dem sei gesagt: Dragon Age: Inquisition ist ein monumentales Spiel mit einer wunderschönen, riesigen und glaubhaften Spielwelt, gefüllt mit einzigartigen und liebenswerten Charakteren mit Persönlichkeit und sehr gut geschriebenen Dialogen. Und auch wenn nicht alles perfekt ist, gibt es wohl wenige Spiele, die Rollenspiel-Fans so viel fürs Geld zu bieten haben wie Inquisition. Ich möchte nur jeden ermahnen, unbedingt vorher die beiden Vorgänger zu spielen. Es wird so viel Bezug genommen auf die Geschehnisse der Vorgänger, so viele Entscheidungen setzen wichtiges Hintergrundwissen über die bestehenden Konflikte der Welt voraus und so viele Charaktere aus den Vorgängern sorgen in Inquisition für ein freudiges Wiedersehen, dass es sehr schade wäre, sich deren vorherige Bekanntschaft entgehen zu lassen. Dragon Age lebt von seiner Welt, die wir nach unseren Idealen formen und beeinflussen können. Lasst euch keine Gelegenheit entgehen, das zu tun. Unterm Strich muss man auch sagen, dass Dragon Age: Origins insgesamt eindeutig das rundere und bessere Spiel ist… was allerdings nicht besonders viel heißt, da ich Dragon Age: Origins für eins der besten Spiele halte, die je gemacht wurden.

Trotz der langen Spielzeit und trotz des enttäuschenden Finales möchte man am Ende von Inquisition einfach mehr. Ich kann es zumindest schon jetzt kaum noch erwarten, mich in einem DLC oder Addon erneut in die Rolle des Inquisitors zu begeben. Bitte gebt mir ganz schnell ein weiteres Abenteuer, in das ich mich mit meinen liebgewonnenen Gefährten stürzen kann. Oder nein… bitte lasst euch alle Zeit, die ihr braucht. Denn der nächste Schuss, der muss nun wirklich mal wieder ein Volltreffer werden.

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