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Aber warum ich? "Weil du dafür bezahlt hast!" |
Es ist dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Alles geht irgendwie zu einfach. Die Anerkennung, die uns entgegengebracht wird, fühlt sich nicht aufrichtig an, weil wir Spieler uns diese nie so richtig selber verdienen mussten. Wir wachen zu Beginn des Spiels mit unserer Superkraft auf und können tun, was kein anderer tun kann. Ohne selber einen Finger gerührt zu haben sind wir die letzte Hoffnung der Welt und ohne überhaupt zu wissen, wie oder warum das alles passiert ist, taumeln wir in die Rolle des Inquisitors, eines gottgleich gefeierten Superhelden, dessen Rechtschaffenheit ab diesem Punkt keiner unserer Gefolgsleute mehr anzweifelt. Wer so viel bedingungslose Anerkennung einfach so geschenkt bekommt, der wird misstrauisch. Und so wird der aufmerksame Spieler auch bei Dragon Age: Inquisition misstrauisch werden und den eigentlichen Kalkül durchblicken, mit dem sich das Spiel versucht, in unser Herz zu schleimen. Das wirkt dann derart befremdlich, dass ich mich über weite Strecken einfach nicht vollständig in seiner Welt verlieren kann.
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Wir können bei unserer ersten Ansprache als Inquisitor sogar explizit sagen, dass wir diese Position nur zu unserem eigenen Vorteil annehmen. Stört aber auch keinen! |
Die Illusion schwindet, wenn wir die Instrumente, die eben diese erzeugen, bemerken. Ein bisschen mehr Feingefühl bei seinen Schmeicheleien hätte Dragon Age: Inquisition also gut getan. Ein bisschen mehr „gutes Spiel“ und ein bisschen weniger „guter Spieler“. Allerdings auch nur ein bisschen weniger, denn die Anerkennung des Spielers ist ein sehr wichtiges Element der Videospieldramaturgie. Bei einem Film verfolgen wir in der Regel als Außenstehender die Geschichte eines Helden oder Anti-Helden, der auf irgendeine Art und Weise sympathisch oder zumindest ansprechend ist. Figuren wie der vieldiskutierte Walter White aus „Breaking Bad“ haben jedoch gezeigt, dass wir nicht zwingend immer auf der Seite des Protagonisten sein müssen, damit die Erzählung funktioniert. Bei einem Spiel ist das anders, denn hier sind wir der Protagonist. In dem Moment, in dem wir die Kontrolle über unsere Spielfigur übernehmen, treffen wir die Vereinbarung, dass wir innerhalb der Spielwelt eins mit ihr sind. Damit diese Symbiose funktionieren kann, ist es unerlässlich, dass wir unsere Spielfigur mögen, uns mit ihr identifizieren können. Jede Interaktion der Spielwelt mit unserer Spielfigur ist eine Interaktion mit uns. Und wir wollen von der Spielwelt anerkannt werden.
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Ja, so ist es gut... Bejubelt mich, Gesindel! |
Es ist also unerlässlich, dass sich unser spielerischer Fortschritt stets in einem nachvollziehbaren Verhältnis zu der narrativen Interaktion der Spielwelt mit unserer Spielfigur, sowie umgekehrt den Interaktionsmöglichkeiten unserer Spielfigur mit der Spielwelt befindet. Je weiter wir kommen, desto ehrfürchtiger reagieren andere Figuren auf die Präsenz unseres Helden und desto mehr verschiedene Fähigkeiten können wir erlernen, um bestimmte Hindernisse zu überwinden. Der Spieler muss das Gefühl haben, sich die ihm entgegengebrachte Anerkennung selbst verdient zu haben. Wenn ich also spielerisch noch nicht mehr geleistet habe, als auf „Neues Spiel“ zu klicken, mir aber direkt im ersten Dialog verklickert wird, dass meine Superkraft und ich die letzte Hoffnung der Welt sind, das drohende Übel abzuwenden, dann sage ich grundsätzlich erstmal: „Houston, wir haben ein Problem!“
Eine derartige Erzählung kann nicht richtig funktionieren, wenn sowohl der weltbedrohende Konflikt (Antagonist), als auch die konfliktlösende Superkraft (Protagonist) gleich von Beginn an als solche etabliert sind. Wir haben entweder einen renommierten Helden, dessen Gegenspieler im Laufe des ersten Aktes eingeführt wird (z. B. in Superheldenfilmen), oder eine bereits bedrohte Welt, in der unser zunächst unscheinbarer Protagonist im Laufe des ersten Aktes durch irgendeine Fügung zur einzigen Person wird, die die Bedrohung besiegen kann (z. B. in Kriegsfilmen). Seltener, aber ebenfalls möglich, ist eine Kombination aus beiden Varianten
(z. B. in „Der Herr der Ringe“).
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Über das Schicksal von Gefangenen dürfen wir von unserem Thron aus entscheiden. Wir triefen vor Macht! |
Es ist mir abschließend sehr wichtig, anzumerken, dass ich Dragon Age: Inquisition insgesamt nicht für ein schlechtes Spiel halte. Ganz im Gegenteil, auch die Inszenierung funktioniert trotz der angesprochenen Probleme über weite Strecken hervorragend. Manche Szenen waren so episch, dass ich Tränen in den Augen hatte, trotz der so offensichtlichen Ausnutzung meiner Machtinstinkte. Dieser Artikel soll kein Gesamturteil über das Spiel vermitteln, sondern eine allgemeine Problematik der Videospieldramaturgie anhand eines Beispiels analysieren, bei dem sie mir sehr prägnant ins Auge sticht.
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Zu Beginn des Spiels besiegen wir einen "Dämon des Hochmuts". Leider nicht den, den uns BioWare in den Kopf setzt. |
Daher mein Appell an BioWare und andere Entwickler: Gebt uns nicht von Anfang an die Macht, uns in eurer Welt aufzuführen wie ein Gott ohne wirkliche Konsequenzen. Nehmt die Welt Ernst, die ihr geschaffen habt, dann haben wir Spieler Spaß daran, uns ihre Anerkennung zu verdienen. Folgt nicht der Ubisoft-Formel mit tausend irrelevanten Nebenaufgaben und Sammelgegenständen, nur weil das bei Open-World-Spielen gerade im Trend ist. Packt nicht in jedes eurer Gebiete einen in der Story nicht mal erwähnten Drachen, nur weil der 13-jährige Horst findet, dass Drachen coole Bossgegner sind. Hört euch unser Feedback an, aber setzt nur das um, was ihr selber in eurem Spiel haben wollt. Wir Spieler werden immer etwas zu meckern haben, meistens sogar berechtigterweise, aber letztendlich kennen wir die Formel für ein perfektes Spiel erst recht nicht. Nur eine Sache darf dabei garantiert nicht fehlen: das Herzblut eines ambitionierten Teams mit einem gemeinsamen Ziel. Ihr seid die Künstler, es ist euer Spiel, eure Vision. Ich als Spieler bin nur dankbar, daran teilhaben zu dürfen.
Hier geht's zu Teil 2 der Analyse.
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