Mittwoch, 17. Dezember 2014

BioWare stimuliert meinen Gottkomplex - Dragon Age: Inquisition (spoilerfreie Analyse, Teil 1)

Wir alle kennen das Gefühl, einen Bewunderer zu haben. Jemanden, der uns bei jeder Gelegenheit sagt, wie toll wir doch sind und uns bei allem, was wir tun, bejubelt, so banal und bedeutungslos es auch sein mag. Im Optimalfall ist das unsere Oma oder ein hübsches Mädchen, dann freuen wir uns darüber, aber das Ganze kann auch schnell nervig werden. Irgendwann fühlen wir uns vielleicht bedrängt, spätestens dann, wenn unser Bewunderer nachts mit Gitarre vor unserem Fenster steht und mit seinem Gesang die ganze Nachbarschaft aus dem Bett holt. Dragon Age: Inquisition ist dieser Bewunderer. Ein Spiel, dessen gesamtes Konzept nur darauf ausgelegt ist, den Spieler zu umschmeicheln und mit Anerkennung vollzupumpen, bis er explodiert. Ich habe mich bedrängt gefühlt… von einem Videospiel.

Aber warum ich? "Weil du dafür bezahlt hast!"
Videospiele sind in der Regel Machtfantasien, das ist natürlich keine Neuigkeit. Das Gefühl, Dreh- und Angelpunkt einer Welt zu sein und diese mit Entscheidungen über Leben und Tod nach den eigenen Idealen formen und verändern zu können, ist ein emotionales Bedürfnis, das in jedem von uns irgendwo tief drin schlummert. Videospiele erlauben es uns, diese Urinstinkte auszuleben, dem Alltag zu entkommen und ein Held zu sein, ohne die fatalen Folgen im Falle des Scheiterns in Wirklichkeit spüren zu müssen. BioWare hat sich diesen Instinkt zu Nutzen gemacht und eine Welt geschaffen, die uns zu Füßen liegt. Und was ist noch eines der wichtigsten emotionalen Bedürfnisse des Menschen? Richtig, die Liebe. Also füllten sie diese Welt mit interessanten und gut geschriebenen Charakteren und gaben uns die Möglichkeit, diese während unserer Abenteuer zu verführen. Das Ergebnis ist die BioWare-Formel, die uns einige der besten und meistgefeierten Rollenspiele aller Zeiten beschert hat. Es ist eine Formel, die nicht den Spielspaß in den Vordergrund rückt, sondern die emotionale Stimulation des Spielers. BioWare will uns mit Herz und Seele in ihre Welt ziehen. Bisher ist ihnen das immer gelungen, aber Dragon Age: Inquisition ist bei seiner Befolgung dieser Formel so psychologisch genau und gnadenlos effizient, dass es manchmal wehtut.

Es ist dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Alles geht irgendwie zu einfach. Die Anerkennung, die uns entgegengebracht wird, fühlt sich nicht aufrichtig an, weil wir Spieler uns diese nie so richtig selber verdienen mussten. Wir wachen zu Beginn des Spiels mit unserer Superkraft auf und können tun, was kein anderer tun kann. Ohne selber einen Finger gerührt zu haben sind wir die letzte Hoffnung der Welt und ohne überhaupt zu wissen, wie oder warum das alles passiert ist, taumeln wir in die Rolle des Inquisitors, eines gottgleich gefeierten Superhelden, dessen Rechtschaffenheit ab diesem Punkt keiner unserer Gefolgsleute mehr anzweifelt. Wer so viel bedingungslose Anerkennung einfach so geschenkt bekommt, der wird misstrauisch. Und so wird der aufmerksame Spieler auch bei Dragon Age: Inquisition misstrauisch werden und den eigentlichen Kalkül durchblicken, mit dem sich das Spiel versucht, in unser Herz zu schleimen. Das wirkt dann derart befremdlich, dass ich mich über weite Strecken einfach nicht vollständig in seiner Welt verlieren kann.

Wir können bei unserer ersten Ansprache als Inquisitor sogar
explizit sagen, dass wir diese Position nur zu unserem
eigenen Vorteil annehmen. Stört aber auch keinen!
Wer ein Videospiel spielt, der genießt den Schwindel, heißt die eigene emotionale Manipulation willkommen. Videospiele sind als narratives Medium deutlich abstrakter als beispielsweise Filme. Beim Spielen findet eine Art unausgesprochene Verabredung zwischen dem Spiel und dem Spieler statt. Der Spieler willigt ein, nur Dinge zu tun, die im System des jeweiligen Spiels vorgesehen sind und das Spiel liefert im Gegenzug die perfekte Illusion von Freiheit. Das ist auch der Grund, warum deine Freundin, die nur mal eben zuguckt und diese Verabredung nie getroffen hat, einfach nicht verstehen kann, was daran gerade so toll sein soll. Keine Videospiel-Narrative kann ohne diese Verabredung bestehen. Wenn wir Dragon Age: Origins spielen, uns aber nicht darauf einlassen, über das Fehlen einer Sprung-Funktion hinwegzusehen, scheitert die Illusion. Anderenfalls lässt sich unser Gehirn von ganz allein manipulieren, bis wir schließlich gar nicht mehr springen wollen. Eben diese Funktionalität unseres Gehirns ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass wir in den frühen Tagen der Videospielhistorie schon mit ein paar wenigen Pixeln großartige Abenteuer erleben konnten. Der Abstraktionsgrad war höher, die Illusion damit schwieriger zu erlangen, aber das Prinzip bleibt das gleiche.

Die Illusion schwindet, wenn wir die Instrumente, die eben diese erzeugen, bemerken. Ein bisschen mehr Feingefühl bei seinen Schmeicheleien hätte Dragon Age: Inquisition also gut getan. Ein bisschen mehr „gutes Spiel“ und ein bisschen weniger „guter Spieler“. Allerdings auch nur ein bisschen weniger, denn die Anerkennung des Spielers ist ein sehr wichtiges Element der Videospieldramaturgie. Bei einem Film verfolgen wir in der Regel als Außenstehender die Geschichte eines Helden oder Anti-Helden, der auf irgendeine Art und Weise sympathisch oder zumindest ansprechend ist. Figuren wie der vieldiskutierte Walter White aus „Breaking Bad“ haben jedoch gezeigt, dass wir nicht zwingend immer auf der Seite des Protagonisten sein müssen, damit die Erzählung funktioniert. Bei einem Spiel ist das anders, denn hier sind wir der Protagonist. In dem Moment, in dem wir die Kontrolle über unsere Spielfigur übernehmen, treffen wir die Vereinbarung, dass wir innerhalb der Spielwelt eins mit ihr sind. Damit diese Symbiose funktionieren kann, ist es unerlässlich, dass wir unsere Spielfigur mögen, uns mit ihr identifizieren können. Jede Interaktion der Spielwelt mit unserer Spielfigur ist eine Interaktion mit uns. Und wir wollen von der Spielwelt anerkannt werden.

Ja, so ist es gut... Bejubelt mich, Gesindel!
Betrachten wir also das auch in Inquisition zum Einsatz kommende, gängige Trial-and-Error-Modell, in dem Spielfortschritt nur durch Erfolg, nicht durch Misserfolg des Spielers erzielt werden kann, ergibt sich folgendes Problem: Die Handlung schreitet nur voran, wenn der Spieler seine Missionsziele erfüllt. Erfüllt der Spieler seine Missionsziele, erwartet er eine Belohnung. Diese Belohnung ist in der Regel sowohl ludisch (spielerisch, z. B. neue Waffen / Gegenstände), als auch narrativ (Anerkennung, steigende Macht des Protagonisten). Es stellt sich also als ausgesprochen schwierig dar, in der Handlung einen Rückschlag zu inszenieren, also einen narrativen Misserfolg, weil modellbedingt immer alle ludischen Ziele erreicht werden. In einem Beispiel ausgedrückt bedeutet das: Es ist dramaturgisch befremdlich, den Spieler einen Bosskampf absolvieren zu lassen und ihm nach erfolgreichem Abschluss eine Videosequenz zu zeigen, in der eben dieser Boss nicht etwa stirbt, sondern siegreich aus dem Duell hervorgeht. (Was nicht heißen soll, dass es Vergleichbares nicht schon gegeben hat. Mir fallen auf Anhieb sogar mehrere Beispiele ein.) Wir sprechen von einer „ludonarrativen Dissonanz“.

Es ist also unerlässlich, dass sich unser spielerischer Fortschritt stets in einem nachvollziehbaren Verhältnis zu der narrativen Interaktion der Spielwelt mit unserer Spielfigur, sowie umgekehrt den Interaktionsmöglichkeiten unserer Spielfigur mit der Spielwelt befindet. Je weiter wir kommen, desto ehrfürchtiger reagieren andere Figuren auf die Präsenz unseres Helden und desto mehr verschiedene Fähigkeiten können wir erlernen, um bestimmte Hindernisse zu überwinden. Der Spieler muss das Gefühl haben, sich die ihm entgegengebrachte Anerkennung selbst verdient zu haben. Wenn ich also spielerisch noch nicht mehr geleistet habe, als auf „Neues Spiel“ zu klicken, mir aber direkt im ersten Dialog verklickert wird, dass meine Superkraft und ich die letzte Hoffnung der Welt sind, das drohende Übel abzuwenden, dann sage ich grundsätzlich erstmal: „Houston, wir haben ein Problem!“

Eine derartige Erzählung kann nicht richtig funktionieren, wenn sowohl der weltbedrohende Konflikt (Antagonist), als auch die konfliktlösende Superkraft (Protagonist) gleich von Beginn an als solche etabliert sind. Wir haben entweder einen renommierten Helden, dessen Gegenspieler im Laufe des ersten Aktes eingeführt wird (z. B. in Superheldenfilmen), oder eine bereits bedrohte Welt, in der unser zunächst unscheinbarer Protagonist im Laufe des ersten Aktes durch irgendeine Fügung zur einzigen Person wird, die die Bedrohung besiegen kann (z. B. in Kriegsfilmen). Seltener, aber ebenfalls möglich, ist eine Kombination aus beiden Varianten 

(z. B. in „Der Herr der Ringe“).

Über das Schicksal von Gefangenen dürfen wir von
unserem Thron aus entscheiden. Wir triefen vor Macht!
Schon der Spieleinstieg von Dragon Age: Inquisition ist also meiner Meinung nach sehr ungünstig gewählt. Er ist maximal unpersönlich, was für die Entwickler den großen Vorteil hat, keine verschiedenen Varianten je nach Rassen- und Klassenwahl des Spielers erschaffen zu müssen. Mit einem richtigen Prolog vor der konfliktbeginnenden Explosion, in dem wir uns kurz in das bisherige Leben unseres Charakters einfinden können, bevor sich dieses für immer verändert, hätten sich jedoch einige der genannten Probleme beseitigen oder zumindest vermindern lassen. Es hätte nicht so variantenreich und aufwendig sein müssen wie in Dragon Age: Origins, aber so erfahren wir ohne selbstständige Recherche so gut wie nichts über unsere Hintergründe, werden aber doch an vielen Stellen im Spiel dazu befragt, was sich eigenartig anfühlt. Man könnte sagen: Wir fühlen uns als Spieler nicht informiert genug, um für diesen Charakter zu sprechen und in seinem Namen Entscheidungen zu treffen. Im Laufe des Spiels werden wir von unseren Begleitern oft darauf angesprochen, wie schwierig es sei, den Menschen in uns zu sehen und nicht das bloße Ideal des mächtigen und gottgesandten Inquisitors. Das wirkt dann schon fast selbstironisch, denn durch ihre Inszenierung bewirkt BioWare, dass auch wir Spieler unseren eigenen Charakter nie über dieses Ideal hinausgehend kennen lernen. Es ist der Mann oder die Frau mit der grünen Hand und sagt, was wir ihm/ihr befehlen, aber sich wirklich in seine/ihre Gedankenwelt hineinzuversetzen, das fällt schwer. Zumal wir nie wirklich sicher sind, wie viel von unserer Vergangenheit festgelegt ist und wie viel davon die Entwickler unserer eigenen Rollenspiel-Fantasie überlassen haben. Ein Prolog hätte diese Dinge aufgeklärt und unsere Identifikation mit der Spielfigur deutlich erhöht. Die Motivation des Spielers wäre dann nicht „Diese Welt hat Probleme und der Himmel schickt mich, um sie zu lösen“, sondern „Meine Welt ist in Gefahr und ich werde dafür kämpfen, sie zu retten“, wie das zum Beispiel in Origins sehr gut funktioniert hat.

Es ist mir abschließend sehr wichtig, anzumerken, dass ich Dragon Age: Inquisition insgesamt nicht für ein schlechtes Spiel halte. Ganz im Gegenteil, auch die Inszenierung funktioniert trotz der angesprochenen Probleme über weite Strecken hervorragend. Manche Szenen waren so episch, dass ich Tränen in den Augen hatte, trotz der so offensichtlichen Ausnutzung meiner Machtinstinkte. Dieser Artikel soll kein Gesamturteil über das Spiel vermitteln, sondern eine allgemeine Problematik der Videospieldramaturgie anhand eines Beispiels analysieren, bei dem sie mir sehr prägnant ins Auge sticht.

Zu Beginn des Spiels besiegen wir einen "Dämon des Hochmuts".
Leider nicht den, den uns BioWare in den Kopf setzt.
Videospiele sind eine Kunstform (ob und warum sie das sind ist eine ganz eigene Erörterung für einen anderen Tag), die aufgrund der immens hohen Produktionskosten besonders abhängig von positiver Resonanz der Fachpresse und Spielerschaft ist, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen und finanziell rentabel zu sein. Während ein Film einem passiven Zuschauer eine Narrative vermittelt, schaffen Videospiele ein mehrdimensionales System, in dem der Spieler die Geschichte beeinflussen und damit aktiv erleben kann, mit dem zusätzlichen Anspruch, vom reinen Gameplay her auch noch Spaß zu machen. Es ist klar, dass der Spagat, diesen profitbedingten Mainstream-Anforderungen und gleichzeitig seiner eigenen künstlerischen Vision gerecht zu werden, unglaublich schwer ist. Blockbuster-Franchises wie Call of Duty oder Assassin’s Creed haben diesen Anspruch schon seit geraumer Zeit abgelegt, was nicht automatisch heißt, dass das keine hochwertigen Spielerfahrungen sein können. Aber Dragon Age ist ein mit reichhaltigen Hintergrundgeschichten gefülltes und mit viel Herzblut erdachtes Fantasy-Universum. Ich möchte, dass zukünftige Abenteuer in diesem Universum mit demselben Herzblut entstehen.

Daher mein Appell an BioWare und andere Entwickler: Gebt uns nicht von Anfang an die Macht, uns in eurer Welt aufzuführen wie ein Gott ohne wirkliche Konsequenzen. Nehmt die Welt Ernst, die ihr geschaffen habt, dann haben wir Spieler Spaß daran, uns ihre Anerkennung zu verdienen. Folgt nicht der Ubisoft-Formel mit tausend irrelevanten Nebenaufgaben und Sammelgegenständen, nur weil das bei Open-World-Spielen gerade im Trend ist. Packt nicht in jedes eurer Gebiete einen in der Story nicht mal erwähnten Drachen, nur weil der 13-jährige Horst findet, dass Drachen coole Bossgegner sind. Hört euch unser Feedback an, aber setzt nur das um, was ihr selber in eurem Spiel haben wollt. Wir Spieler werden immer etwas zu meckern haben, meistens sogar berechtigterweise, aber letztendlich kennen wir die Formel für ein perfektes Spiel erst recht nicht. Nur eine Sache darf dabei garantiert nicht fehlen: das Herzblut eines ambitionierten Teams mit einem gemeinsamen Ziel. Ihr seid die Künstler, es ist euer Spiel, eure Vision. Ich als Spieler bin nur dankbar, daran teilhaben zu dürfen.


Hier geht's zu Teil 2 der Analyse.

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